Eine Rundreise durch Ugandas Süden
‚Die Perle Afrikas‘, nannte Winston Churchill einst Uganda. Für uns ein triftiger Grund das Land zu erkunden. Es ist eine Spontanreise mit entsprechend kurzer Vorbereitungszeit. Wir planen das Nötigste, finden eine Autovermietung, die den gewünschten Toyota Landcruiser im Angebot hat und ergattern mit viel Glück zwei der begrenzten Gorilla-Permits. Das Trekking zu den Menschenaffen wird das Highlight auf unserer Reise.
Mitten in der Nacht landen wir in Entebbe. Modernste Technik bei der Passkontrolle reißt uns aus unserer Müdigkeit, dann erwartet uns bereits der Fahrer unseres Guesthouses. Ich bin sehr dankbar, dass wir um diese Uhrzeit nicht mit Taxifahrern verhandeln müssen, dass in unserem Guesthouse ein Moskitonetzt über dem Bett hängt und dass ich dennoch keine Mücken sehe. Uganda ist Hochrisikogebiet für Malaria.
Der Autovermieter steht am nächsten Morgen pünktlich mit dem Landcruiser da. Das dies tatsächlich unser Mietauto sein soll, kann ich erstmal nicht glauben. Das Blech ist zerbeult, die Pedale völlig abgetreten, die Sitze durchgewetzt. Die Campingausrüstung scheint ähnlich alt. Wir entscheiden daher kurzfristig, diese nicht zu brauchen. 300.000 Kilometer afrikanische Straßen hat das Auto bereits hinter sich gelassen. Ob das gut geht? „Ihr kennt euch mit dem Landcruiser aus? Allrad auch?“ fragt uns der Vermieter etwas desinteressiert. Den Zustand des Autos müssen wir selbstverständlich nicht festhalten und starten sofort in unser Abenteuer.
Durch schmale Lehmgassen führt uns der Weg durch das quirlige Treiben des Alltags in den Hafen von Nakiwogo. Von hier aus setzen wir mit der Fähre über eine Bucht des Victoria-Sees und umfahren damit die Hauptstadt Kampala mit Chaos und Dauerstau. Die kleine Fähre hat nur Platz für ein paar Fahrzeuge. Am Rand des Bootes sitzen Passagiere auf Holzbänken und werfen uns interessierte und ungläubige Blicke zu. Wir fühlen uns unsicher und fremd, bleiben dicht neben unserem Auto stehen und sind froh, als wir wieder an Land sind.
Auf dem Weg Richtung Süden können wir uns dann langsam akklimatisieren. Und staunen. Eine Ortschaft grenzt an die nächste, kaum eine Gegend, an der keine Häuser stehen. Am Straßenrand laufen hunderte Menschen entlang, darunter viele Kinder. Es werden Unmengen an Früchten und Gemüse verkauft. Wer kann bietet kleine Häufchen an Tomaten, Zwiebeln, Süßkartoffeln, Ananas, Mangos, Jackfruits und grüne Kochbanen an. Fleisch hängt in der heißen Mittagsluft und trocknet vor sich hin, hier und da ein paar Hühner in kleine Käfige gesperrt. Ein Rindertransport, bei dem die Tiere so dicht gedrängt stehen, dass sich die Gitterstäbe ins Fleisch bohren, ihre riesigen Hörner und Schwänze nach oben gebunden. Die Hausmauern werden als Werbeplätze genutzt. Hauptsächlich von Telefonanbietern. Es gibt unzählige Beauty-Saloons, Friseure, Händler die alte Autoreifen anbieten oder gegrillte Fleischspieße, Schreiner die wuchtige Holzbetten schnitzen. Sogar Särge stehen am Straßenrand. In allen Größen und mit Sichtfenster am Kopfende.
In einer kleinen Ortschaft passieren wir den Äquator. Dort steht ein Betondenkmal, das eine Gruppe Amerikaner, Inder und Japaner zum fotografieren animiert hat, und deshalb unsere Aufmerksamkeit erweckt. Ansonsten hätten wir diese touristische Attraktion glatt übersehen. Wir suchen uns einen Platz im Restaurant nebenan und beobachten das Shooting bei feinem Curry. Restaurants sind eine Rarität in Uganda, das wissen wir zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht.
Den nächsten Tag verbringen wir im Hinterhof einer Autowerkstatt. Unser Auto verliert Diesel. So viel, dass uns eine Reparatur nicht erspart bleibt. Immerhin kümmert sich der Autovermieter sehr schnell darum, dass uns ein Mechaniker abholt und in seine Werkstatt bringt. Die erinnert eher an einen Schrottplatz. Inmitten von verrosteten Skeletten alter Autos, die sich im Hof stapeln und an die Wände gelehnt stehen, kümmert sich das gesamte Team um das Leck im Tank. Geflickt wird mit einfachem Draht.
Da wir einen Abstecher in die Serengeti machen möchten, fahren wir direkt weiter zur tansanischen Grenze. Die ist ziemlich unübersichtlich. Wir lassen uns die Richtung an unbeschilderten Gebäuden vorbei zeigen, und in eine kleine Hütte schicken, in der die Fahrzeugdaten und die Fahrzeugversicherung kontrolliert werden. Man weist uns zu einer Schranke. Der Beamte öffnet, winkt uns genervt weiter und dann sind wir bereits in Tansania. Ohne Stempel. Eine Polizistin kontrolliert nochmal das Fahrzeug und stellt fest, dass uns Warndreieck und Feuerlöscher fehlen. Wir zahlen 10$ Strafe, an unseren Pässen hat sie aber auch kein Interesse. Benno sieht es locker, ich eher nicht. Das wird auch nicht besser, als wir alle paar Kilometer von einer Streife aufgehalten werden. Während ich uns bereits Stunden bei irgendwelchen Behörden verbringen sehe, umgarnt Benno die Polizisten mit ein paar charmanten Worten und zeigt die Quittung der Strafzahlung. Wir werden Willkommen geheißen und mit strahlendem Lächeln weiter geschickt, vorbei an unzähligen kleinen Ortschaften, in denen die Menschen geschäftig ihren täglichen Dingen des Lebens nachgehen, Kohle und Fleisch verkaufen oder in bunten Gewändern und gelben Plastikkanistern zur Wasserstelle laufen.
Die Strecke ist mühsam. Es gibt zu viele Geschwindigkeitsbegrenzungen und es dämmert bereits. Als wir am Weg das Schild eines Hotels sehen, entscheiden wir zu bleiben. Es ist ein sehr einfaches Hotel, aber es gibt ein beruhigendes, rosafarbenes Moskitonetz.
Im benachbarten Restaurant werde ich während dem Essen dann erstmals von einer Mücke gestochen. Etwas mulmig ist mir da schon. Um uns herum wuseln eifrig die Angestellten, polieren Gläser und putzen Plastikstühle. Der Raum ist mit kitschigen Kunstblumen und Girlanden geschmückt. Ein elegant gekleideter Herr kommt auf uns zu, fragt woher wir kommen, und bittet uns zu bleiben. Zu einer tansanischen Hochzeit. Nach und nach füllt sich das Restaurant mit Gästen, die ihre Einladung in Form einer Plastikkarte am Eingang zeigen müssen, und sich dann mit Getränken in Dosen und Plastikflaschen versorgt and den Tischen verteilen. Wir ernten jede Menge neugierige Blicke und ich ein Fotoshooting mit drei Mädchen, die es nicht fassen können an diesem Ort auf eine Weiße zu stoßen. Als Musik aufgelegt wird, tanzen die Familien des Brautpaares herein, danach der Bräutigam und zuletzt die Braut in einem opulenten Tüllkleid. Eigentlich bewegt man sich an diesem Abend ausschließlich rhythmisch. Nach der Trauzeremonie liefert eine Tanzgruppe spektakuläre Einlagen, die Gäste tanzen abwechselnd für das Brautpaar, wir werden vom deutschsprechenden Pfarrer aufgefordert, einen Walzer zum Besten zu geben und die Geschenke werden ebenfalls tanzend am Brautpaar vorbei gebracht. Teppiche, Kissen, Decken, sogar ein Kühlschrank. Gegen Mitternacht wird ein großes Buffet mit Fleisch, Kochbananen und Currys aufgebaut. Nachdem sich jeder den Bauch vollgeschlagen hat, leert sich der Saal ganz schnell und wir krabbeln unter unser rosafarbenes Moskitonetz.
Am Morgen entscheiden wir nicht in die Serengeti zu fahren. Wir haben die Strecke falsch eingeschätzt und würden bei diesen Straßenverhältnissen den Termin für das Gorilla-Trekking gefährden. Die Schleife zurück nach Uganda führt über die Tan-Road. Eine staubige Horrorstraße mit tiefen Schlaglöchern und rücksichtslosen LKW-Fahrern. Im Nebel des aufgewirbelten Sandes erkennt man die vielen Fußgänger und Zweiradfahrer kaum noch. Der rote Sand dringt durch jede Ritze des Autos und legt sich überall in einer feinen Schicht ab. Meine Haare hatten noch nie so viel Stand. Wir sind heilfroh, als wir abzweigen können und den einsamen Schotterweg durch das Burigi und Kimisi Game Reserve erreichen. Noch nicht einmal dem Wild begegnen wir hier und GoogleMaps kennt sich auch nicht mehr aus. Laut Offlinekarte fahren wir durch das Nichts. Als es bereits dämmert und die Schotterpiste mehr und mehr zu einer Ansammlung von Felsen wird, die immer schmaler zwischen Bananenplantagen zusammenläuft, müssen wir in einem Dorf um Hilfe bitten. Ein Pfarrer ist glücklich über unsere Orientierungslosigkeit. Er muss dringend mit Frau und Kind ins Krankenhaus. Wir nehmen die kleine Familie mit und lassen uns durch inzwischen absolute Dunkelheit über die Straßen, die als solche kaum noch erkennbar sind, nach Omirushaka leiten. Unser Hotel in dieser Nacht ist eher ein Hinterhof. Kein Abendessen, kein Frühstück, eine raschelnde Plastikplane unter dem Leintuch und Wasser aus der Tonne. Ich muss den Namen nicht erwähnen.
Als die Grenze von Uganda Sicht ist, fühle ich mich, als würde ich nach Hause kommen. Die Grenzbeamten sehen das allerdings anders. Trotz Charmeoffensive können wir kein Beamtenherz erweichen und müssen uns Stempel für die Ausreise in Uganda in einem Büro, und dann für die Ein- und Ausreise in Tansania in einem anderen Gebäude holen. Die Zöllner lachen viel mit und über uns, und nach ein paar verlorenen Stunden und um den Preis von vier Visa ärmer, dürfen wir einreisen.
Noch am Nachmittag erreichen wir den Eingang des Mburo Nationalparks. Mit einer Karte, auf der die Tracks eingezeichnet sind, dürfen wir völlig alleine durch den kleinen Park im Südwesten fahren. An einem steilen Anstieg zu einem Aussichtspunkt stellen wir fest, dass unser Allrad uns nun auch im Stich gelassen hat und müssen auf dem Schotter unkontrolliert zurück rutschen. Jetzt ärgern wir uns doch über den Zustand des Mietautos und bleiben zwangsläufig in ebenerem Gelände. Die Wege scheinen teilweise so selten befahren zu werden, dass wir bei spärlichster Beschilderung den Weg im Grasland nur erahnen können. Am frühen Abend stehen wir einsam mitten in der duftenden Savanne, beobachten Herden an Giraffen, Zebras und Antilopen, lauschen den Tiergeräuschen und sehen der afrikanischen Sonne zu, die immer tiefer sinkt und die Gräser in warme Rosatöne färbt. Magisch.
Bevor wir in den Bwindi Nationalpark fahren, verbringen wir noch zwei Nächte am Lake Bunyonyi. Bunyonyi bedeutet ‚der Ort der vielen kleinen Vögel‘. Es gibt hier tatsächlich jede Menge Vögel, die sind aber lange nicht alle klein. Mit eleganten Flügelschlägen schweben immer wieder Kronenkraniche über das Wasser. Das sind echte Riesen unter den Vögeln und gleichzeitig der Wappenvogel von Uganda. Der See könnte mit 900 Meter der zweittiefste Afrikas sein. So ganz einig sind sich die Experten aber nicht, manche gehen gerade einmal von 50 Metern aus. Sicher ist, dass es 29 Inseln gibt und dass man hier weder Angst vor Nilpferden noch vor Krokodilen haben muss. Spiegelglatt liegt der See eingebettet in das Grün von Bananenplantagen und Eukalyptusbäumen. Aus den langen Stämmen der Bäume werden in einwöchiger Handarbeit Einbäume geschlagen, die später als Transportmittel lautlos über den See gleiten.
Im Bwindi treffen wir auf ein paar Kinder und einen Lehrer, die Schulbänke tragen. Wir bieten ihnen an, die Bänke den steilen Weg bis zur vier Kilometer entfernten Schule auf dem Auto zu transportieren. Eine Bank legen wir über die Motorhaube, zwei binden wir auf dem Dach fest. Kaum steigen wir wieder ins Auto, sitzen bereits vier Kinder auf unseren Rückbänken, klettern auf das Dach, auf den Reservereifen, halten sich an der Dachreeling fest und stehen auf den morschen Trittbrettern. Der Lehrer erzählt uns, dass viele der Kinder ein solches Auto noch nie gesehen, geschweige denn damit gefahren wären. Auf dem Weg zur Schule begegnen wir immer mehr Kindern, die weitere Bänke schleppen. Da es weder im noch am Auto eine freie Stelle gibt, laufen sie nebenher. Barfuß und lachend.
In unserer Lodge im Park haben wir drei Tage Zeit zum Durchatmen und Zeit, das Allrad richten zu lassen. Dann dürfen wir die Gorillas sehen. Hier geht es zu der Geschichte.
Nachdem wir uns vom Trekking erholt haben, geht es weiter Richtung Queen Elisabeth National Park. Unsere Strecke führt bis auf 2500 Meter Höhe durch Kiefernwälder über Bergkämme, von denen man über die nahtlos beackerte Hügellandschaft blickt. Durch ideale klimatische Bedingungen und sehr fruchtbare Böden, kann in Uganda drei Mal geerntet werden. Zwischen Gemüse, Mais- und Hirsepflanzen sieht man die Frauen mit einfachen Geräten und ohne Schuhe bei der Feldarbeit, viele mit Baby auf dem Rücken.
Im Queen Elisabeth National Park bleiben wir im Ishasha Wilderness Camp. Das Camp liegt im Süden des Parks an einem Fluss, eingebettet in dichtes Grün. Von dort aus drehen wir unsere einsamen Runden durch die weitläufige Savanne. Noch am ersten Abend entdecken wir in zwei der knorrigen Feigenbäume die scheuen Kletterlöwen. Bewegungsfaul liegen sie auf dicken Ästen und strafen uns mit Ignoranz. Einzig der Babylöwe wirft uns gnädigerweise einen kurzen Blick zu.
Durch den Park führt eine lange, von dichtem Urwald gesäumte Schotterpiste. Myriaden an gelben Schmetterlingen tummeln sich in den wassergefüllten Schlaglöchern und flattern über uns hinweg. Wir erreichen den Kazinga Channel und mieten ein kleines Motorboot mit Guide und Fahrer. Der natürliche Kanal verbindet den Lake Georg mit dem Lake Eduard und bietet eine der weltweit dichtesten Populationen an Nilpferden. Grunzend und prustend liegen sie in Ufernähe im dickflüssigen, grünen Wasser, eines treibt regungslos und aufgedunsen in der Mitte des Kanals vorbei. Krokodile gibt es hier angeblich auch in beachtenswerten Mengen, nur wollen die uns nicht sehen. Dafür können wir beobachten, wie Elefanten und Antilopen zum Trinken ans Ufer kommen und eine Herde Wasserbüffel auf der Suche nach einer geeigneten Ausstiegsstelle am Ufer entlang schwimmt.
Am Rande des Parks sind einige erloschene Vulkane, über deren Kraterrand ein Schotterweg aus dem Park führt. Ganz oben blickt man zwischen afrikanischen Schirmakazien über die weite Steppe und den angrenzenden Urwald. Von hier aus fahren wir unser letztes Ziel an. Eine Lodge bei Fort Portal. Die Straße dorthin fühlt sich stellenweise bereits wieder nach Zivilisation an. Bei einem Straßenhändler kaufen wir drei Mangos, freuen uns über das Schnäppchen und erfahren später, dass wir den zehnfachen Preis bezahlt haben.
Den Tumult in Fort Portal ertragen wir nach Tagen der Ruhe und Einsamkeit kaum und flüchten in unsere Lodge am Kyaninga Lake. Von der Holzterrasse aus blicken wir über den See, das Grün der fruchtbaren Felder und Eukalyptuswälder bis zum Ruwenzorigebirge, das die Grenze zum Kongo anzeigt. Tagsüber erkunden wir den Krater. Eine steile Holztreppe führt durch das Dickicht hinunter ans Ufer. Dort ist eine Holzplattform, von der aus man das eigenartig türkisfarbene Wasser des 200 Meter tiefen Kratersees bewundern kann. Angeblich ist das Wasser frei von Bilharziose und zum Baden geeignet. Ich lasse kurz meine Beine im Wasser baumeln, steig dann aber doch lieber in das trockene Kajak und paddel in wenigen Zügen ans andere Ufer. Wir haben den See für uns alleine, auch als wir uns von Simon durch den Wald am Ufer entlang führen lassen. Simon bietet sein unfassbares Wissen über die heimische Flora und Fauna bei Touristen an und kann uns zu jedem Winkel des Sees eine Geschichte erzählen. Durch seine Berichte verlieren wir auch die Angst vor Malaria. Wir haben kaum Mücken gesehen und sind nur wenige Male gestochen worden. Unsere Ausstattung mit Notfallmedikamenten ist perfekt, und es ist gerade der Mangel an Medikamenten, der in Uganda das größte Problem ist.
Es ist das Ende unserer Rundreise, den Weg zurück nach Entebbe nehmen wir direkt und ohne größere Pausen. Vorbei an langen Teeplantagen geht es über die holprige Hauptstraße, die stellenweise gerade von den Chinesen in großem Stil saniert wird. Wir fahren an inzwischen vertrauten Bildern vorbei, an Fahrradfahrern, die mehrere Stauden Bananen, Ananas oder Wasserkanister schieben, Männern mit dicken Ästen auf den Schultern und Kindern, die barfuß auf dem Weg zur Schule sind. Wir winken uns gegenseitig zu und ernten jedes Mal ein strahlendes Lächeln mit blitzend weißen Zähnen. Uganda ist eine Perle, eine unerwartet grüne und außerordentlich gastfreundliche.