ISLAND

Wal in Sicht bei Húsavík

‚Aber sicher, ihr zieht Beides an!‘, lautet die klare Ansage von Gunnar, der wir keinen Widerspruch entgegensetzen müssen. Umständlich wurschtel ich also den dick wattierten Overall über meine Schiunterwäsche und zwei Lagen dicker Wollpullover, über die Jeans und eine Daunenjacke, die für arktische Temperaturen konzipiert wurde. Danach versinke ich in einem monströsen, orangefarbenen Gummimantel und fühle mich wie ein gut gefüttertes, aus der Form gelaufenes Michelin-Männchen. Unfähig auf den Boden zu sehen, ertaste ich mit meinen Füßen die Schneeschuhe, zwäng mich mit Angorasocken hinein und tapse auf Deck. Dumpf klopfend signalisiert der Motor des fast 60-jährigen Eichenholzkutters, dass wir starten können. Der eisige Wind peitscht uns Salzwasser um die Ohren. Ich ziehe meine Wollmütze tief ins Gesicht und meinen Schal über die Nase. Dass es erst Anfang August ist, habe ich im Norden Islands glatt vergessen.

 

 

Hauptstadt für Walbeobachtungsfahrten

 

Húsavík ist ein kleiner Fischerort an einer von zerklüfteten Bergen umrahmten Bucht, und ein Mekka für Walbeobachtungsfahrten. Das außergewöhnlich große  Nährstoffangebot im Wasser der Skjálfandi-Bucht lockt eine Vielzahl verschiedener Walfische an. Bereits 23 unterschiedliche Arten wurden über die Jahre gesichtet, darunter häufig Buckel- und Zwergwale, seltener auch Orkas, Finnwale und sogar Blauwale. Weil wir nicht die Einzigen sind, die sich wünschen einen Wal aus nächster Nähe bewundern zu können, gibt es inzwischen mehrere Unternehmen, die in Húsavík Walbeobachtungstouren anbieten. Unser Boot gehört zur Flotte von North Sailing. Seit 1995 fährt die Crew ihre Gäste mit alten Fischkuttern in die Bucht oder segelt in den Sommermonaten sogar bis Grönland. Whale Watching findet zwischen März und November statt, inklusive Michelinmännchen-Montur, heißem Kakao und Zimtschnecke – und der Möglichkeit tollpatschige Papageientaucher zu beobachten! Wer in den Wintermonaten nach Island reist, kann sich vom Deck eines Bootes von Nordlichtern verzaubern lassen. Welche Kleidung man dabei tragen sollte, bleibt für mich allerdings ein ungelöstes Rätsel.

 

Werden wir einen Wal beobachten können?

 

Tapfer kämpft sich unser betagtes Boot mit Namen ‚Garðar‘ einen Wellenkamm nach dem anderen in die offene Bucht. Die raue See lässt die Planken ächzen und manches Gesicht ganz fahl werden. Ich kralle mich an die Reling, versuche die Bewegungen mit den Beinen auszugleichen und ignoriere das flaue Gefühl in der Magengegend. Zusammen mit einer Gruppe Italiener trotzen wir dem Wind und den Wellen, und scannen vom Bug des ehemaligen Fischkutters gebannt das Meer. Die Garantie einen Wal beobachten zu können gibt es natürlich nicht, und die drei Stunden scheinen wie im Flug zu vergehen. Plötzlich schallt uns aus dem Horn der Hinweis entgegen, dass steuerbord ein Wal aufgetaucht ist. Im Kollektiv stürmen wir an die rechte Brüstung. Es ist ein Zwergwal, dessen Rücken hin und wieder aus dem Wasser blitzt. Nach und nach erscheinen weitere Tiere, blasen Nebelfontänen in die Luft und tauchen elegant wieder ab. Manchmal in weiter Entfernung, dann fast direkt neben uns. Gedämpft vom Sturm hören wir das Brüllen der Crew, wenn ein Wal an anderer Stelle wieder auftaucht und stolpern in hektischer Aufregung von einer Seite des Bootes zur anderen. Der Kapitän gibt sich beste Mühe das schwerfällige Boot in Richtung der kleinen Gruppe von etwa acht Walfischen zu steuern, während diese gleichgültig nach Fressbarem suchen.

 

Gebannter Blick bei der Walbeobachtung

 

So plötzlich der erste Wal aufgetaucht ist, so schnell ist der Letzte in unerreichbarer Entfernung verschwunden. Der Wind pfeift weiterhin erbarmungslos um unsere Ohren und der insgeheim gewünschte Blauwal will sich auch nicht mehr blicken lassen. Die bis zu 30 Meter langen Riesen bevorzugen einen Besuch der Bucht in den frühen Sommermonaten. Wir werden wiederkommen müssen. Die Crew scheint meine Sehnsucht nach einer warmen Stube erraten zu haben und drückt uns eine Tasse heißen Kakao und ein Gebäckstück in die Hand, während der Kapitän das Boot wendet und den Hafen ansteuert. Zum Aufwärmen treibt es uns in das Hafenrestaurant Gamli Baukur. Wir sind dort nicht die Einzigen. Walbeobachter aller Nationalitäten schlürfen Suppen und heiße Getränke. Manche mit bleichem Gesicht, andere mit glühenden Backen und zerzausten Haaren. Eines haben wir jedoch gemeinsam: Der Boden schwankt weiterhin unter unseren Füßen, und unser Leben hat sich mit einem unvergesslichen Erlebnis gefüllt.

 

Die Flosse von einem Wal

 

 

Anmerkungen für eine Reise

 

  • Island bietet zu jeder Jahreszeit unterschiedliche Reize. Der Golfstrom sorgt insgesamt für gemäßigte Temperaturen, das Wetter ist aber extrem wechselhaft und der Wind senkt die gefühlten Temperaturen schon mal ein paar Grad. Im Sommer kann es deshalb besonders im Norden und im Hochland ganz schön frisch werden. Kälteempfindliche Frostbeulen wie ich sollten deshalb entsprechende Kleidung mitnehmen oder die milderen Küstengebiete im Süden besuchen.
  • Die hoffnungslos überlaufenen Sehenswürdigkeiten befinden sich hauptsächlich im Süden. Dabei lohnt sich der Ausflug in den Norden nicht nur wegen Walbeobachtungsfahrten. Anregungen und Adressen findet man hier.
  • Auf Booking.com und Airbnb.de finden sich liebevolle private Unterkünfte und Ferienwohnungen, Campingplätze gibt es auf der ganzen Insel verteilt. Gute Hotels konzentrieren sich eher auf Reykjavik.
  • Das raue Hochland begeistert offroadfreudige Selbstfahrer mit geeigneten Autos und dringend nötiger Fahrerfahrung. Die Ringstraße ist geteert und problemlos mit nicht geländegängigen Fahrzeugen befahrbar. Besonders Harte radeln diese Strecke – und lassen sich dann völlig erschöpft, durchnässt und ausgekühlt von Faulpelzen wie uns zur nächsten Ortschaft fahren.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2 Comments

  • Reinhard Rahusen

    Hallo Julia und Benno,
    ein sehr schöner Bericht, der Geschmack macht und Freude im Herzen. Für mich altes Haus, aber durchaus wetterbeständig, ist das nicht mehr in diesem Leben umsetzbar. Aber macht das meine Reinkarnation!? Könnte ja auch ein Wal sein.

    • excitingworldtracks

      Vielen Dank lieber Reinhard! Tja, wenn man das nur wüsste…Ein Wal kommt immerhin ganz schön rum – wäre also sicherlich eine spannende Wiedergeburt 😉

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