
Roadtrip in ein vergessenes Land
Angolas Vergangenheit ist von Schmerz und Gewalt schwer gezeichnet. Doch heute präsentiert sich das Land an der Westküste Afrikas im Wandel – politisch stabiler, wirtschaftlich hoffnungsvoll und touristisch kaum erschlossen. Reise in ein Land voller Kontraste und Naturwunder.
„Wait here!“ Mit ausdruckslosem Blick nimmt Macao unsere Pässe und die Fahrzeugpapiere aus meiner Hand und verschwindet hinter dem Grenzgebäude. Meine Gedanken fangen zu kreisen an. Was, wenn er nicht zurückkommt? Hektisch kontrolliere ich unsere Dokumentenmappe nach letzten Passkopien – kann aber keine finden. Macao, hochgewachsener angolanischer Fixer, hatte uns einen Tag zuvor im Tausch gegen 100 amerikanische Dollar seine Fähigkeiten als Dolmetscher und Beamtenbezirzer angeboten. Doch noch während ich mir den Kopf über mögliche Konsequenzen unserer Gutgläubigkeit zerbreche, entpuppt sich Macao als loyaler Geschäftsmann. Unbeeindruckt vom Gewusel aus Bettlern, Tank-Touristen, Geldwechslern und Grenzgängern kommt er mit wedelnden Papieren zurück und hilft uns innerhalb einer Stunde durch die Einreiseprozedur auf die staubigen Straßen von Santa Clara. Rekordverdächtig.
Warum es uns ausgerechnet nach Angola zieht? Mit Beginn des Dekolonisierungsprozesses versank das Land in einem jahrzehntelangen Sumpf der Gewalt. Dem Befreiungskampf gegen die portugiesische Kolonialherrschaft folgte ein blutiger Bürgerkrieg, der während des Kalten Krieges von internationalen Akteuren noch weiter angeheizt wurde. Erst der Tod des Rebellenanführers Jonas Savimbi im Jahr 2002 beruhigte den Konflikt. Heute – über 20 Jahre später – kämpft Angola nur noch gegen Vetternwirtschaft, Korruption und regierende Kleptokraten. Das Land öffnet sich zaghaft dem Tourismus – und wir wollen diesen Anfang miterleben! Achtsamkeit ist allerdings Pflicht: Während des Bürgerkrieges wurde die Erde Angolas großflächig mit Minen verseucht. Insbesondere im Osten sind ganze Landstriche noch immer ungeräumt. Wir bewegen uns deshalb ausschließlich auf den offiziellen Straßen des belebten Westens und werden dabei feststellen, dass diese mit unserer Vorstellung befahrbarer Straßen trotzdem nicht viel gemein haben.
Empfang aus Gegensätzen
Die Fahrt vom schmuddeligen Santa Clara nach Lubango ist eine Reise durch Angolas verwundete Seele. Entlang der Strecke zeugen rostende Panzer und durchschossene Hauswände von der rohen Vergangenheit. Die Teerstraße ist aber in einem erstaunlich guten Zustand, sodass wir bereits am frühen Abend durch die bunten Häuserreihen des quirligen Lubango fahren. Wir wurden gewarnt, dass kriminelle Motorradgangs in Angolas Städten ihr Unwesen treiben. Da wir mit unserem auffälligen Reisemobil sehr vorsichtig sind, halten wir uns deshalb an die Erkundung der Landschaft. Und die protzt mit atemberaubenden Ausblicken: Die zweitgrößte Stadt Angolas liegt auf dem Bié-Hochplateau, dessen Abbruchkante bei Tundavala tausend Meter in die Tiefe fällt und einen Blick in die tropische Unendlichkeit freigibt.
Am überwachten Parkplatz biegen wir auf einen schmalen Offroadpfad ins Hinterland ab – bis im Rückspiegel plötzlich Blaulicht aufblitzt. Vier Polizisten folgen uns auf Motorrädern. Verunsichert bleiben wir stehen und versuchen sie mit einer Charme-Offensive zu korrumpieren. „Please, main road!“, erklärt uns einer der vier in gebrochenem Englisch und zeigt streng Richtung Parkplatz. „Here, dangerous!“, fügt er hinzu. Seinen weiteren Kommunikationsversuchen entnehmen wir, dass an diesem Ort wiederholt Touristen überfallen wurden und die Felskante als praktische Entsorgungsstelle für ungeliebte Mitmenschen genutzt wird. Mehr müssen wir nicht wissen. Wir verteilen Geschenke und notieren die Telefonnummer des englisch sprechenden Polizisten. Man weiß ja nie.
Von der Hochebene fahren wir über die steilen Serpentinen der malerischen Serra da Leba-Passstraße zwischen üppigen Mangobäumen in die Küstenstadt Namibe. Die Vegetation verliert sich zunehmend im Sand, bis zuletzt nur noch gelegentlich die welken Blätter der jahrhundertealten Welwitschien-Wüstenpflanzen aus Sand und Schotter ragen. Das Stadtbild von Namibe ist – wie die meisten Städte Angolas – geprägt von portugiesischer Architektur. Doch die Gebäude sind marode und vernachlässigt und vor der Stadt türmen sich stinkende Müllhalden. Wir flüchten weiter in den Süden und gelangen im Iona Nationalpark über eine riesige, mit einer dicken Schicht winziger Muscheln übersäten Salzpfanne, direkt ans Meer. Der Atlantik brandet wild an den kilometerlangen Sandstrand und unser Blick verliert sich im grenzenlosen Nichts. Einziges Mahnmal menschlichen Lebens ist ein rostiges Schiffswrack, das sich bereits halb versunken seinem Schicksal ergeben hat. Der Sand ist hinterlistig weich und lässt unser Auto so tief einsinken, dass wir umgehend wenden. Mit einem erfahrenen Guide, Begleitfahrzeugen und bei passender Gezeit hätten wir auf dem schmalen Streifen zwischen den sich immer steiler auftürmenden Dünen der Namib und dem rauen Ozean Richtung Namibia fahren können. Der Abschnitt wird allerdings nicht ohne Grund ‚Death Acre‘ genannt: Fährt man zur falschen Zeit, verschluckt das Wasser den Strand – und mit ihm die Fahrzeuge leichtsinniger Offroader.
Mit Geduld und Flexibilität
Weil auf der Küstenstraße ein Fluss über die Ufer getreten ist, müssen wir unsere Route ändern und zurück nach Lubango fahren. Im Inland wird das Weiterkommen aber noch mühsamer. Die Hauptverbindungsstrecke ist in einem desolaten Zustand. Über etliche Kilometer fehlt der Straßenbelag, sodass wir auf den ausgefahrenen Schotterpisten, eingeklemmt zwischen überladenen LKWs, im Schneckentempo vorantuckeln müssen. Am Ende zweier langer Fahrtage geraten wir in der einsetzenden Dämmerung in einen Regenguss, der die Lehmstraße innerhalb kürzester Zeit in eine glitschige Schlitterpiste verwandelt. An einem Hang verliert unser Landcruiser jede Traktion – selbst bei noch so sanftem Bremsen gerät das Fahrzeug unkontrolliert ins Rutschen. Als wir im Graben an die Büsche gepresst zum Halten kommen, ringen wir mit der Überlegung, die weite Strecke in der Dunkelheit zurück zur letzten Ortschaft zu fahren. Zwei junge Männer beobachten uns, während sie dicke Lehmklumpen von den Reifen ihres Zweirades entfernen. „Courage, courage!“, rufen sie uns lachend zu. Davon ermutigt, gelingt es uns irgendwie, den Hang ohne Blessuren hinunter zu rutschen, sodass wir wenig später unsere Herberge in einer alten Kaffeefarm erreichen. In der Nacht regnet es ohne Unterlass. Wasser tropft durch das undichte Dach und bildet einen kleinen See neben unserem Bett. Glücklicherweise lichten sich die Regenwolken am frühen Morgen und wenige Stunden später ist die Lehmpiste bereits wieder trocken. Doch auf der ausgewählten Strecke, die eine Abkürzung zum nächsten Ziel hätte sein sollen, schrumpft der Weg zunehmend in immer dichter werdender Vegetation zu einem Zweiradweg zusammen. Unsere sonst so pingelig genaue App ist davon überzeugt, dass wir uns auf einer offiziellen Verbindungsstrecke befinden. Eine Dreiviertelstunde tasten wir uns durch den Busch – davon ausgehend, dass sich das Grün im nächsten Moment lichtet. Vergeblich. In einem winzigen Dorf schütteln die Einheimischen irritiert den Kopf und geben uns zu verstehen, dass die Strecke unbefahrbar ist. Zähneknirschend kehren wir wieder um – und verlieren einen weiteren Tag, viele Nerven und den Glauben an die perfekte Landkarte.
Einzigartige Naturlandschaften
Eine atemberaubend schöne Strecke durch dichten Tropenwald mit knorrigen Baumriesen, die hoch über unseren Köpfen zu einem undurchdringlichen Blätterdach zusammenwachsen, entschädigt die Anstrengung der vergangenen Tage. Als wir endlich die Kalandulafälle erreichen, löst sich die letzte Anspannung in der aufsteigenden Gischt der donnernden Wassermassen auf. Mit 105 Metern Fallhöhe, gehört der Wasserfall zu den größten Afrikas – dennoch haben wir das Naturspektakel fast für uns alleine. Auch bei den schwarzen Felsen von Pungo Andongo, gewaltigen Felsformationen aus Vulkangestein, die inmitten der angolanischen Savanne thronen, ist es menschenleer.
Trotz der Mahnung vor Motorradbanden, wählen wir den Weg über die Hauptstadt Luanda. Wir quartieren uns in einem luxuriösen Hotel ein, lassen unser Auto auf der Straße rund um die Uhr vom Personal überwachen und von William, einem taxifahrenden Fotografen, durch die Stadt chauffieren. Zum Lunch pausieren wir auf der vorgelagerten Landzunge am Yachthafen mit Blick auf die Skyline der Stadt. Hier tummeln sich die Reichen und Wichtigen, um Geschäfte zu besprechen, Champagner zu trinken und fangfrische Langusten zu essen. Obwohl wir auf Perlwein und Edel-Seefood verzichten, müssen wir beim Zahlen einen zweiten Blick auf die Rechnung werfen: Man mag es kaum glauben, aber Luanda ist teuer. Gemessen an den Lebenshaltungskosten für Expats sogar eine der teuersten Städte der Welt.
Auf unserem Weg an der Küste entlang zurück in den Süden, passieren wir wenige Kilometer außerhalb Luandas ein weiteres Naturwunder. Miradouro da Lua – ‚Aussichtspunkt des Mondes‘ – haben die Angolaner diesen durch Erosion entstandenen, zerklüfteten Klippenstreifen mit Blick auf den Ozean genannt. Gegen Abend färbt die tiefer sinkende Sonne die drei unterschiedlichen Gesteinschichten wie einen Schichtpudding in glühende Orange- und Rottöne. Gleich dahinter breitet sich nach der Mündung des Cuanza der Quiçama Nationalpark mit Wäldern aus Baumkakteen und Affenbrotbäumen vor uns aus. Wildtiere sind hier leider schwer zu finden. Die während des Krieges durch illegale Jagd zum Teil bis zur Ausrottung dezimierten Populationen, beginnen sich nach einem aufwändigen Relokalisierungsprojekt erst langsam wieder zu regenerieren. Wir verzichten deshalb auf unsere Safaripläne und verbringen die letzten Tage an den endlosen, goldschimmernden Sandstränden der Küste – den Blick auf bunt bemalte Fischerboote gerichtet, die über die glitzernden Wellen des Atlantik schaukeln.
Trotz der unbändigen Schönheit der angolanischen Landschaften entscheiden wir, das 30-tägige Visum nicht zu verlängern und den Rückweg anzutreten. Wir sind müde. Als wir in Santa Clara ohne die Hilfe von Macao unsere Papiere stempeln lassen und der Schlagbaum hinter uns fällt, fühlen wir uns seltsam erleichtert. Angola hat uns tief beeindruckt aber auch herausgefordert. Zurück in Namibia erhalten wir eine Nachricht des englischsprechenden Polizisten. Er schreibt, dass wir ihm Glück gebracht haben und er in der Nacht Vater einer Tochter wurde. Er hat sie nach mir benannt. Wir werden Angola ein paar Jahre der Straßen-, Hotel-, und Sprach-Entwicklung geben und dann zurückkommen. Denn eines ist sicher: Angola ist einzigartig schön und ich muss Julia kennen lernen!
