Schottland im Herbst – Burgen, Moor und Whisky
In Zeiten von Instagram, Facebook und Co kann man sich täglich mit unüberschaubaren Massen an Bildern der schönsten und außergewöhnlichsten Flecken unseres Planeten überschütten lassen. Das kann fürchterlich langweilen, gelegentlich aber auch sehr inspirieren. Unsere Inspiration zu einem herbstlichen Trip nach Nordirland verfolgt uns seit Monaten auf sämtlichen Informationskanälen. Der Brexit. Ein Polit-Theater mit häufigen Veränderungen in Regie und Besetzung, und einem unüberschaubaren Ausgang. Jetzt aber, kurz vor dem neuen, bereits mehrmals verschobenen Austrittstermin, wollen wir starten. Wer weiß schon, was danach kommt?
Mit vom Wind zerzausten Haaren hängen wir an einem trüben Oktobertag endlich über der Reling einer Fähre und erblicken die weißen Kalksteinfelsen von Dover. Trotz dieser majestätischen Begrüßung übermannt uns nach der Landung ein Reisefieber-Schub. Wir werfen unsere Irland-Pläne kurzerhand um und steuern Schottland an. Die typisch englischen Ortschaften mit ihrem romantischen Charme, den roten Backsteinhäusern und den Vorgärten mit opulent blühenden, himbeerenfarbenen Hortensienbüschen lassen wir schnell hinter uns. Viel zu schnell. Meine Trauer darüber verflüchtigt sich aber schlagartig, denn das herbstliche Schottland protzt mit atemberaubender Natur, offenen Menschen, spannender Geschichte und typischem Schmuddelwetter.
Edinburgh, und dann?
Ob als kurzer Städtetrip oder als Ausgangspunkt für eine Rundreise, Edinburgh gehört für mich zu den schönsten Städten Europas. Das Sightseeing überlassen wir dieses Mal aber anderen Touristen, schlendern über das Kopfsteinpflaster der Old Town, plündern kleine Geschenkboutiquen und wärmen uns in urigen Pubs wieder auf. Abends sinken wir zwischen die unzähligen gestärkten Kissen unseres opulenten Holzbettes. Im glamourösen Prestonfield House Edinburgh nahe des Holyrood Parks lassen wir uns wie Könige verwöhnen – absolut nachahmenswert!
Schottland lebt von den Geschichten seiner freiheitsliebenden Helden. William Wallace war einer von ihnen, der spätestens seit der Verfilmung mit Mel Gibson in ‚Braveheart‘ weltweiten Ruhm erlangte. Der kurze Weg über Sterling ist deshalb ein lohnenswerter Abstecher, der zum William Wallace Monument führt. Das Denkmal wurde in Gedenken an den Nationalhelden erbaut, der in der Schlacht von Sterling seine Truppen einst zum Sieg führte.
Über einen Wanderweg spaziert man in etwa 20 Minuten vom Parkplatz durch einen traumhaften Laubwald auf den Hügel, auf dem das Denkmal steht. Wer seine Muskelgruppen weiter schonen will lässt sich alternativ mit einem Shuttle-Bus fahren. Im Monument gelangt man über die 264 Stufen einer äußerst schmalen und steilen Wendeltreppe zur Aussichtsplattform und wird dort mit einer Sicht über den Fluss Forth, Sterling und die schottischen Hügel belohnt. Auf den Geschoßebenen dazwischen lassen sich die Ausstellungsstücke des Museums bewundern und die Geschichte William’s erfolgreicher Schlacht nachlesen während man nach Luft japst.
Loch Ness – wunderschön auch ohne Nessie
Im Dauerregen fahren wir weiter durch das Hochmoor, dessen hügelige Flächen vom herbstlichen Rot der Heidekräuter überdeckt, und von braunen Moorbächen durchzogen ist. Am Kaledonischen Kanal angelangt zieht es uns zum zweitgrößten See von Schottland: Loch Ness haftet eine Mystik an, die auch heute noch unverändert scheint. Kopfschüttelnd staunen wir im Nessie-Museum in Drumnadrochit über nicht gescheute Kosten und Mühen, die seit der angeblichen Sichtung des Seeungeheuers jährlich Touristenscharen anziehen. Für mich sieht jeder Wasservogel, der gegen das Licht schwimmt, wie Nessie aus. Die Vermarktung des Ungeheuers ist über die Jahre so perfektioniert worden, dass die Ortschaften um Loch Ness bis heute davon profitieren.
Die Stimmung am Loch ist aber auch ohne Nessie einzigartig, weshalb man nach einem Stopp in Drumnadrochit unbedingt einen weiteren im nahegelegenen Urquhart Castle einplanen sollte. Direkt am Ufer des Sees gelegen taucht man in die Geschichte der Burgruine ein, deren erste Spuren in das 6. Jahrhundert zurück reichen.
Weiter entlang am Kaledonischen Kanal gelangen wir nach Fort Williams. Der Ort in den westlichen Highlands mit malerischem Blick auf den höchsten Berg von Schottland, Ben Nevis, lockt mit kleinen Souvenir-Shops, Bars und Restaurants und bietet Gelegenheit die Schleusenanlage des Kanals zu erkunden. Sieben Staustufen und acht Schleusenkammern gibt es alleine in Fort Williams. Insgesamt wurden 29 Schleusen am gesamten Kanal gebaut, um die Höhenunterschiede zwischen den einzelnen Lochs auszugleichen. Es sind vor allem Ausflugsboote, die bereits in Fort Williams 90 Minuten benötigen, um die einzelnen Stufen zu durchschippern. Geduld sollte man bei einer solchen Kanaldurchquerung also mitbringen.
Der äußerste Westen in Schottland
Vom rauen Fischerdorf Ullapool lassen wir uns mit der Fähre nach Stornoway auf die Äußeren Hebriden schiffen. Unter dem grau verhangenen Himmel wirkt die Landschaft trüb und eintönig. Unser Ziel liegt aber an der Westküste, vorbei an den Steinformationen von Callanish. Die etwa 5000 – 3000 v. Chr. errichtete megalithische Kultstätte macht ihrer englischen Schwester Stonehenge ordentlich Konkurrenz, vor allem wegen ihrer mystischen Lage und fehlenden Besucherströmen. Als das Wetter gnädigerweise später kurz aufklart, erreichen wir die Strände bei Ardroil und Kneep, die mit weißem Sand und türkisfarbenem Meer Karibik-Feeling vortäuschen. Sogar Palmen sieht man in dem ein- oder anderen Vorgarten. Der Golfstrom macht’s möglich.
Der wieder eingesetzte Regen treibt uns zurück an das offene Feuer im Kamin unseres Hotels und am nächsten Tag in den Hafen von Tarbert. Die Zeit bis zur Abfahrt unserer Fähre auf die Isle of Skye verbummeln wir mit einem Besuch des Eilean Glas Lighthouses. Der Leuchtturm wurde 1789 erstmals in Betrieb genommen und ist einer der ältesten von Schottland. Man erreicht ihn über einen Fußweg durch das Moor. Der weiche Boden wippt unter unseren Füßen und die Schafe beobachten, wie wir an Wasserpfützen vorbei balancieren. Wir setzten uns auf die schwarzen Klippen vor dem Leuchtturm und lassen uns vom Wind salzige Luft in die Lungen pusten.
In der Abenddämmerung erreichen wir nach einer dreistündigen Fahrtzeit den Hafen von Uig. Die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit der Fähren in Schottland ist faszinierend. Da dürfte sich die Deutsche Bahn direkt ein Scheibchen abschneiden. Wir überfliegen die Insel Skye aus Zeitmangel, was schon fast einer Sünde gleich kommt. Skye ist die größte Insel der Inneren Hebriden und bekannt für verwunschene Burgen, torfigen Whisky, Spuren menschlicher Siedlungen, die bis in die Steinzeit zurückreichen und schroffe Landschaften. Den Old Man of Storr lassen wir uns aber nicht entgehen. Die 50 Meter hohe Felsnadel aus Basaltstein lugt nach einer rutschigen Wanderung ab und an durch die Nebelschwaden. In Begleitung einiger kleinerer Hinkelsteine ist der Old Man Ziel bizarrer Fotomotive.
Von Skye fahren wir zurück auf das Festland in die Nähe des kleinen Örtchens Dornie zu einem echten Touristen-Magneten. Die Gesamtzahl der schottischen Burgen und Schlösser wird in wilden Spekulationen auf 2.000 – 4.000 Bauten geschätzt. Besondere Aufmerksamkeit erhält dabei das Eilean Donan Castle, das schon mehrmals als Filmkulisse diente. James Bond und der Highlander trieben sich auf der Burg herum, die auf einer winzigen Insel am Loch Duich steht und bei Flut nur über eine lange Steinbrücke erreichbar ist. In der Burg befindet sich ein Museum, dass zum Entdecken widriger Zeiten zwischen Wikinger-Befestigung, Highland-Raufbolden und Geheimkammern einlädt.
Inselhopping und Whisky-Tasting
Bevor es auf die nächste Insel geht, verbringen wir eine Nacht auf einem ausrangierten Kahn im verschlafenen Hafenort Tarbert. Das Schiff gehört zum Anchor Hotel. Von außen würde man nie auf die Idee kommen, dass sich in seinem Bauch liebevoll ausgebaute Zimmer befinden. Die Bezeichnung ‚Luxury Accomodation‘ ist dabei eventuell etwas überzogen. Sehr luxuriös ist allerdings der Ausblick, als am nächsten Morgen die Sonne über der Bucht aufgeht und die Nebelfetzen zwischen den Fischkuttern zum Glitzern bringt.
Mit der ersten Fähre fahren wir vom knapp zwei Stunden entfernten Kennacraig auf die Whisky-Insel Islay. Acht Destillerien produzieren hier das ‚Wasser des Lebens‘, weitere sind in Planung. Arbeitslosigkeit ist ein Fremdwort, Unterkünfte auch in der Nebensaison Glücksache. Wir haben Glück und kommen in einem kitschig-romantischen Bed & Breakfast unter, in dem wir von Margret und ihrem Mann mit einem ausufernden Frühstück verwöhnt werden. Die Größe von Islay ist überschaubar, so dass man sich an einem Tag problemlos von einer Destillerie zur nächsten trinken könnte. Wer mehr Zeit hat, lässt sich bei einer Führung den Produktionsprozess erklären und spült sämtliche neu gewonnenen Informationen mit einem Schluck des hauseigenen Edelgetränks hinunter. Man kommt aber auch nicht zu kurz, wenn man diese wunderschöne Insel nicht Whisky-benebelt erleben möchte.
Strahlen der tief stehenden Sonne leuchten durch die Fenster der Kildaton Old Parish Church im Südosten der Insel und werfen ein eigenartiges Licht auf die Kirchenruine. Neben dem Gebäude steht ein Keltenkreuz aus den 9. Jahrhundert, Kildaton Cross. Um das Kreuz rankt sich die Legende um einen Mann, der bei einem grausamen Ritual von Wikingern ermordet wurde. Wir fahren weiter, vorbei an einem der langen, hellen Sandstrände, der von hunderten Wildgänsen belagert wird. Die Wolken fangen zu glühen an. Den Tag beenden wir ganz traditionell bei Fish & Chips in einem kleinen Pub in Port Askaig. Eine Gruppe Jungs müht sich bei Guinness und Dartspiel um Zielgenauigkeit. Wir versuchen einzelne Brocken der Unterhaltung zu verstehen – chancenlos.
Der Name Jura stammt aus dem Altnordischen und bedeutet ‚Hirschinsel‘. Jura ist die Nachbarinsel von Islay und ausschließlich über eine Fährverbindung zwischen den beiden Schwesterinseln zu erreichen. Wie der Name schon sagt, handelt es sich bei den Bewohnern hauptsächlich um Wild. Auf 200 Einwohner kommen etwa 5500 Rothirsche. Auch auf Jura gibt es eine gleichnamige Whisky-Destillerie und vernünftigerweise direkt daneben ein Hotel. Lange Sandstrände, der ‚Corryvreckan‘ – einer der größten Mahlströme der Welt und die ‚Paps of Jura‘ – die dreigipflige Bergformation prägen die einsame Landschaft, die bereits die Wikinger in ihren Bann zog.
Nach Islay und Jura treibt es uns weiter auf die Isle of Arran. Für Durstige bietet sich hier kurz nach der Ankunft nochmals die Möglichkeit in der Lochranza Destillerie den Whisky-Pegel aufzufüllen. Wir fahren an der Westküste weiter zum Brodick Castle & Garden. Das Schloss steht in einem zauberhaften Garten, der seltene Pflanzen aus fernen Gebieten beheimatet, meterhohen Rhododendron-Büschen Platz bietet und in dem ein Pavillion mit den Namen ‚Bayrisches Haus‘ steht. Da das Wetter erstmals wieder etwas milder ist und uns die Sonne verwöhnt, bekommt der Garten unsere volle Aufmerksamkeit. Aus rotem Sandstein gebaut, mit Türmchen, Erkern und Nischen, darf das Schloss für uns eine schöne Nebenrolle spielen und bleibt von außen bewundert.
Wenn wir könnten, würden wir weitere Wochen in Schottland verbringen. Wir könnten beobachten, wie sich das Moor in den Highlands nach dem Winter grün färbt, wir könnten den zerklüfteten Norden erkunden und alte Hafenorte unsicher machen. Wir könnten ein Schloss kaufen, für dessen Preis man bei uns vielleicht ein einfaches Einfamilienhaus ersteht. Wir würden mit den freiheitsliebenden Schotten gegen das Wetter trotzen und gegen einen Austritt aus der EU oder für ihre Unabhängigkeit. Verdient wäre das allemal.