Aurora Borealis für Anfänger
Spontan zu verreisen hat auch Nachteile. So bleibt etwa keine Zeit, sich intensiver mit dem Thema Nachtfotografie auseinander zu setzen. Der Grund unserer Reise mitten im eisigen Januar nach Island ist aber fast einzig die Jagd auf wundersame Lichterscheinungen. Die Aurora Borealis. Das Himmelsspektakel entsteht – sehr stark vereinfacht, wenn Partikel von Sonnenwinden auf unsere Erdatmosphäre treffen. In den langen Winternächten der Polarregion hat man mit etwas Glück und klarem Himmel gute Chancen die Lichter zu bewundern. Die theoretische Kurzanweisung eines passionierten, lieben Outdoorfotografen muss deshalb erstmal reichen.
Im sanften Licht der tief stehenden Sonne fliegen wir über den pechschwarzen Strand der Südküste Islands auf Reykjavik zu, und landen zwischen glitzernden Eisflächen. Die erwarteten Schneeberge? Fehlanzeige. Es ist ein ungewöhnlich schneearmer Winter auf Island.
In der nachweihnachtlichen Nebensaison gibt es eine umfangreiche Auswahl freier Unterkünfte. Wir haben eine Wohnung in einer ruhigen Seitenstraße der Shoppingmeile Laugavegur gemietet. Mit dem Reiseboom der letzten Jahre sind hier unzählige Souvenirshops, Kaffees, Bars und Lokale entstanden. So richtig in Fahrt kam der Reisetrend mit dem Ausbruch des Vulkans Ejafjallajökull, der europaweit die Flughäfen lahm legte und für große Aufmerksamkeit sorgte. Übrigens – wenn man lange genug übt, kann man diesen Namen tatsächlich aussprechen.
Am kommenden Tag treiben dicke Wolken mit eisigem Wind Schneeflocken durch die Straßen. Warm eingepackt wagen wir einen Spaziergang Richtung Hafen. Dort gibt es kleine Fischlokale, die den frischen Fang in delikate Gerichte verwandeln. Wenn man möchte, kann man natürlich auch den nicht ganz so frischen Fisch probieren. Der Eishai ist eine echte isländische Spezialität, die man aber wohl eher nicht als Delikatesse bezeichnen wird. Mehrere Wochen wird das Fleisch gelagert, um den Harnstoff abzubauen, welchen die Tiere in ihrem Blut anreichern. Das Ergebnis ist essbar, aber eine olfaktorische Herausforderung. Wer eine Mutprobe braucht, bestellt sich einen kleinen Würfel Eishai und kippt ihn am besten ganz traditionell mit viel Brennivìn hinunter. Dieser isländische Schnaps wird aus fermentiertem Getreide hergestellt und mit Kümmel aromatisiert. Den Imbiss kann man zum Beispiel im Saegreifinn testen. Eine leckere Alternative und winterlicher Magenwärmer ist die überall angebotene Hummersuppe.
Wir setzten uns zwischen die Einheimischen in das Hafencafè Kaffivagninn. Hier kann man auch bei Schmuddelwetter fangfrische Köstlichkeiten mit Blick auf das Meer und die Fischerboote genießen. Wir nutzen den Tag, um eine Nordlicht-Tour mit monströsen Super-Jeeps und ein Mietauto zu buchen. Die geführte Tour findet natürlich nur statt, wenn die Chancen Nordlichter zu sehen entsprechend gut sind. Die Vorhersagen unserer Aurora-Forecast-App verfolgen wir von nun an stündlich.
Der nächste Tag scheint vielversprechend. Die Sonne verzaubert die vereiste Landschaft in ein pastellfarbenes Wunderland. In Vorfreude auf eine lange, dunkle und klare Nacht verabschieden wir die Sonne auf der schmalen Landzunge in Akranes. Sie sinkt zwischen den beiden Leuchttürmen in das aufgewühlte Meer. Gischt spritzt an den schroffen, schwarzen Felsen in die Höhe, die Möwen fliegen kreischend über uns. Der eisige Wind ist ein gemeiner Spielverderber.
Für unsere Tour fühle ich mich aber bestens vorbereitet: Skiunterwäsche, mehrere Lagen Wollpullover, dicke Wollsocken, Schneeboots und einen extra dicken Parka. Mütze, Schal und Handschuhe sind unerlässlich. Der heiße Tee ist in der Thermoskanne abgefüllt, die Kamera startklar. Mit den Super-Jeeps und einer Gruppe Nordlicht-Touristen fahren wir aus der Stadt, abseits der Straßen, quer über das vereiste Gelände. Und weit weg von jeglichen Lichtquellen. An einer schneebedeckten Anhöhe bleiben wir stehen und warten. Es ist bitterkalt. Und dann sind sie plötzlich da. Milchige Schlieren, die erst der Fotoapparat in strahlendes Grün verwandelt. Meine Finger sind bereits so klamm, dass ich die Kamera kaum noch bedienen kann. Es entstehen ein paar verwackelte und unscharfe Bilder. Im Auto versuche ich meine Hände zwischendurch aufzuwärmen und die optimale Kameraeinstellung zu finden, bin aber sehr erleichtert, als wir unsere Tour beenden und zurück nach Reykjavik fahren. Das hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt.
So einfach wollen wir das Thema Nordlichter jedoch nicht aufgeben. Am nächsten Tag, packen wir uns nochmal in sämtliche mitgebrachte Kleidung und machen einen Ausflug Richtung Norden. Bei Hofn finden wir eine ruhige Stelle am Meer, an der weit und breit keine Lichtquelle zu sehen ist. Der Himmel ist wolkenfrei, die Wellen schlagen gegen das Ufer. Jetzt heißt es warten und heißen Tee trinken. In der nächsten Stunde verfolgen wir auf unserer App, wie sich die Aurora genau in unsere Richtung bewegt. Und sich dann direkt über uns schiebt. Tanzende Lichter, weiße Spuren am Himmel, die ihre Form permanent verändern. Stundenlang beobachten wir die zauberhaften Formationen, vergessen die Kälte und fühlen uns angesichts der himmelfüllenden Ausmaße winzig. Die Fotos? Na gut – ich werde wohl noch üben müssen.
In den kommenden Tagen verschlechtert sich das Wetter und vertreibt jede Chance auf einen weiteren Blick auf die Aurora. Da Reykjavik aber jede Menge Möglichkeiten weiterer Aktivitäten bietet, kann man problemlos mehrere Tage füllen. Wen die Geschichte Islands interessiert, findet im Nationalmuseum und in der Settlement & Egels Saga Ausstellung Antworten. Im Saga-Museum wird die Geschichte sehr bildlich mit Wachsfiguren dargestellt. Begeistern werden sich Kinder für das Walmuseum mit lebensgroßen Tiernachbildungen. Mit der Reykjavik City Card bekommt man freien Eintritt in die zahlreichen Museen, Galerien, Thermalquellen und viele weitere Bonus-Möglichkeiten. Mehr Informationen zu der Karte bekommt ihr hier.
Am letzten Tag besuchen wir noch einen der vielen Wasserfälle Islands. Im Sommer stehen auf dem Parkplatz vor dem Seljalandsfoss Kolonnen an Bussen. In den Wintermonaten ist es deutlich ruhiger. Leider sind die Wege jedoch stark vereist und somit haben wir keine Chance auf dem Pfad zu laufen, der hinter den Wasserfall führt. Wir machen uns auf den Weg zurück nach Reykjavik, beobachten den Sonnenuntergang am schwarzen Strand vor der Inselgruppe Vestmannaeyjar, und verdrücken zum Abschluss ein grandioses Lobster-Menu im Fjorubordid südlich von Selfoss. Ein Abstecher, der sich unbedingt lohnt.